Genauer hinschauen

Verborgenes Leben, 03. Juli 2024

Beim Treffen der Glaubensgemeinschaft zeigte sich eine weitere herausfordernde Situation: Aus dem Spendentopf wurde regelmäßig Geld entwendet.

Das Spendenkörbchen wurde neben den Ausgang gestellt. Immer wenn ein bestimmter Glaubensbruder kam, fanden wir eine große Note im Spendentopf. Doch dann fehlte regelmäßig diese große Note, obwohl dieser Bruder da gewesen war. Wir beobachteten diese Situation genauer und stellten fest, welcher Besucher Geld entwendete. Darauf angesprochen versicherte derjenige jedoch, dass er so etwas nicht mache. Es war uns bekannt und auch offensichtlich, dass er ein Drogenproblem hatte und immer auf der Suche nach den nötigen Mitteln war.

Wiederum besprachen wir gemeinsam die Situation und suchten einen Weg, damit umzugehen: Mehr Überwachung, so dass gesehen wird, was er tut. Dann überlegten wir zusammen, ob wir ihm Hausverbot erteilen sollten. Sollten wir dem, der uns bestiehlt, den Zugang zur Quelle verwehren? Durfte man ihn reduzieren auf seine Sucht, auf seine Schwäche?

Ich war im Umgang mit Süchtigen geübt, blieb verbindlich, klar und ließ mir nichts vormachen, als ich den jungen Mann offen auf sein Verhalten ansprach. Dieser reagierte mit Trotz, mit Vorwürfen, aber vor allem mit Bedrohung. Dies wiederum ging für uns gar nicht, das konnte man nicht zulassen; so erhielt er Hausverbot. Er hielt sich nicht daran, schmuggelte sich immer wieder in die Veranstaltungen. Eine Herausforderung für alle in der Frage: Was galt es nun zu tun?

Wir mussten genauer hinschauen, um zu erkennen, was im Hintergrund ablief. Mit den gewählten Maßnahmen waren nicht alle einverstanden, Klarheit und Verständnis standen einander gegenüber. Einige Glaubensgeschwister waren der Meinung, es wäre doch lieblos, Jesus hätte so nicht gehandelt.

Ich bat die Mitverantwortlichen darum, die Situation mit anderen Augen zu betrachten – Verständnis ohne Reflexion, ohne sich die Konsequenzen bewusst zu machen, könne in diesem Fall nicht zielführend sein.

Als wir zu einer einheitlichen Meinung fanden, kam der suchtkranke, junge Mann nicht mehr. Dieses Erlebnis zeigte mir, wie sensibel Energiefelder miteinander kommunizieren, wie alles mit allem verbunden ist und auf jede Bewegung reagiert.

 

Einige Monate später stand der junge Mann wieder vor der Tür, war kurzatmig, unruhig, irgendwie getrieben und wollte unbedingt mit der Zentrale in Würzburg sprechen. Mit seiner Unruhe und Bitte störte er den Ablauf der Veranstaltung und alles wirkte etwas bedrohend; schließlich ging ich auf ihn zu, bat ihn mit mir in den Nebenraum zu kommen.

«Was ist denn los? Was hast du?», fragte ich mit ruhiger Stimme, um ihn zu beruhigen. «Ich muss mit der Prophetin, mit Würzburg sprechen», sagte er aufgewühlt. «Warum denn, was ist los?», fragte ich ihn, wissend, dass dies nicht so einfach möglich sein würde. «Ich kann es nicht sagen.» Ich blieb ruhig und wartete, ich spürte, da ging es um etwas Ernstes. Ich betete in meinem Inneren «Christus hilf, hilf du!» – «Ich, ich», begann der junge Mann, «Ich habe jemanden umgebracht.» – «Was hast du?» – «Ich habe jemanden umgebracht», kam es noch einmal über die Lippen des jungen Mannes. Der ganze Körper begann zu zittern, ich schaute ihn voller Mitleid an, war wieder einige Minuten still, legte meinen Arm auf den seinen und sagte voller Mitgefühl: «Lieber, lieber Bruder, dann musst du jetzt zur Polizei, musst dich deiner Tat stellen.» Selbst zutiefst getroffen von dem, was er in seinem Inneren sah, begab er sich in Begleitung eines Glaubensbruders auf den Polizeiposten.

Später hörte ich im Radio von einem Überfall mit Todesfolge und wusste, es war der junge Bruder, in dem die Sucht stärker war als alles andere und die ihn in eine lange, lange Entwöhnung führen würde. Als er ging, sagte ich ihm: «Christus ist mit dir, Bruder, baue auf ihn, baue auf ihn!» Ich konnte aus der Barmherzigkeit schöpfen, obwohl ich erschrocken und entsetzt war, obwohl ich Grenzen gesetzt hatte in der Klarheit. Ähnlich wie bei der Alkoholikerin spürte ich eine neue Art in mir, mit so einer Situation umzugehen. Verständnis, Selbstverantwortung und Konsequenz. Es war eine neue Qualität, in der ich mich bewegen konnte – es fühlte sich gut und richtig – und ganzheitlich an.

VERBORGENES LEBEN

 

«Schreibe für dich den Weg, der bei dir zur direkten Kommunikation geführt hat auf, denn es hilft dir beim Helfen!»