Anfänglich hatte ich großes Heimweh nach allen und nach allem. Oft musste ich weinen, wenn ich ausgelassene, fröhliche junge Menschen sah oder ein Paar Hand in Hand vor mir ging. Ich fühlte mich allein, ja einsam, ich fand keinen Anschluss. Ich sah auch einiges, was mir nicht gefiel und was ich in Frage stellte, es jedoch mit niemandem teilen konnte. Etwas offen in der Gemeinschaft anzusprechen, war nicht üblich und nicht erwünscht, ja, es schien ein Tabu zu sein. Es war auch immer wieder meine Beziehung zu meinem Mann ein Thema und das wurde dann «angesprochen»: Familiäre Bindungen wären nicht gut und ich sollte sie lösen, meinen Mann verlassen und den Kontakt abbrechen oder mindestens reduzieren. Natürlich wurde ich auch auf meinen Verkehrsunfall angesprochen. Man war der Meinung, der zeige doch alles! Ich sah es nicht so. Ich war nach einer arbeitsreichen Woche, am Freitagabend, nach der Arbeit in die Schweiz gefahren, um am Samstag beim Meditationskurs in Zürich mitzuhelfen, packte noch das ganze Auto voll mit Schriften und nahm einen 12-jährigen Jungen mit, um ihn zum Vater zu bringen. Ich war übermüdet, weil ich die langen Arbeitstage von morgens früh bis abends spät nicht gewohnt war, und ich hatte, aus Rücksicht auf andere, meine eigenen Bedürfnisse übergangen.
Die stetigen Angriffe aus den «eigenen Reihen» wurden immer mehr. Ich fühlte mich im Kleinsten kontrolliert, beobachtet und hörte in den Worten meiner Vorgesetzten Druck, erkannte, zu meinem Erstaunen, eine große Unfreiheit. Wenn ein Bett im Pflegeheim nach einem Todesfall über mehrere Tage leer blieb, wurde die Ursache bei den Fehlhaltungen der arbeitenden Glaubensgeschwister gesucht. Saat und Ernte, Ursache und Wirkung, hatten alle unbarmherzig im Griff.
Dass ich in dieser Zeit immer noch allein in einer Wohnung lebte, wurde immer wieder angemahnt, denn es war üblich, dass die Mitglieder früher oder später in Wohngemeinschaften wohnten. Zudem hatte ich immer wieder Probleme mit dem Auto: Einmal blieb es stehen, die Batterie war leer. Einmal konnte ich wegen Glatteis nicht weiterfahren, kam auf dem Weg zur Arbeit zum Stehen und konnte weder zurück noch vorwärts, weil die Reifen auf dem Glatteis keinen Halt fanden. Ich musste warten, bis der Streudienst durch war und sich die Straßensituation entspannte. Ein anderes Mal fuhr ich auf einem Parkplatz eine Delle ins Auto, weil ich über ein Gespräch nachdachte, unkonzentriert war und dabei ein anderes Auto übersehen hatte. Die Delle war gut sichtbar und wieder wurde ich «angesprochen». Erneut wurde behauptet, es wäre die Beziehung zu meinem Mann, die solche Situationen zu Tage bringen würde und auch der «Alleingang» bezüglich meiner Wohnsituation. Wer dabei sein wollte, hatte sich an sogenannte Vorgaben und Regeln zu halten. Das wiederholte Einwirken auf mich, sich daran zu halten, verunsicherte und verwirrte mich, ja, die Aussagen wurden in meinem Innern immer wiederholt und begannen in mir zu wirken.