Bedingt durch die neue Arbeitsstelle im Verlag ergab es sich, dass ich nun näher im Umfeld der Prophetin tätig war, zumal der Verlag vorwiegend die Bücher und Tonträger vertrieb, die die Glaubenslehre unserer Gemeinschaft beinhalteten.
Ich wurde nun auch zu den wöchentlichen Treffen mit der Prophetin geladen, in denen sich eine Führungsgilde traf, was eine große Ehre war. Die Atmosphäre, die sich dort aufbaute, war mir suspekt, ich fand sie ganz und gar unehrlich. Es wurde nicht offen gesprochen, es wurde nicht ehrlich etwas zusammengetragen, jeder versuchte ein gutes Bild von sich und seinem Bereich zu geben, zu genügen oder Lob zu bekommen. Als ich einmal ehrlich meine Meinung sagte, wurde ich nach der Sitzung von den Verantwortlichen des Verlags gemaßregelt und als Verräterin bezeichnet, die in den Rücken fällt und Geschwister beschmutzt. Ich war bestürzt über diese Äußerung und verstand nicht – von da an verhielt ich mich so, wie sie: passte mich an und sagte nichts mehr. Die Treffen wurden dadurch für mich zu einer Anspannung, es wurde so schlimm, dass es mir Übelkeit und Bauchschmerzen verursachte. Mein Körper reagierte so stark, dass ich mir eingestehen musste, nicht mehr zu diesen Treffen gehen zu können. Ich machte mich deshalb nieder. Ich empfand mich als scheinheilig, als nicht sauber und als nicht hilfreich. Dass ich nicht mehr zu den Treffen gehen würde, kommunizierte ich dann jener Vorgesetzen, die mich in diesen Kreis mithineingenommen hatte. Ich war ehrlich. Diese Ehrlichkeit vor mir selbst war das Einzige, das Letze, was mir geblieben war. Und diese Ehrlichkeit nahm man mir übel, wurde als Schwäche ausgelegt, als Unverschämtheit. Wie konnte ich es wagen, selbst zu entscheiden, nicht mehr hinzugehen? Dies sei eine Missachtung der Prophetin – so sahen sie es.
Ich nahm die Reaktion meiner Glaubensgeschwister wiederum ernst, entschuldigte mich in meinem Inneren für meine Unfähigkeit. Ich fühlte mich nicht würdig. Vielleicht hielt ich die Präsenz des hohen Geistwesens, der Prophetin nicht aus und mein Körper reagierte? So zumindest versuchte ich mir meine Situation zu erklären. Ich hatte jenen, die mir helfen wollten und mich förderten, Schande gemacht. Wo sollte ich mich nun bewerben? Wo passte ich hin und rein?
All diese Gedanken und Erlebnisse nagten an mir, zerstörten meine Lebensfreude, hinterließen einen Scherbenhaufen in meinem Inneren. Ich kannte so einen Zustand nicht, es war mir fremd.