In meiner Wohngemeinschaft war von mir und meinen Mitbewohnerinnen viel Verständnis gegenüber der alleinerziehenden Mutter und ihren Kindern erforderlich. Die Konflikte spitzten sich immer wieder zu, weil sie viel arbeitete, wenig Zeit für ihre Kinder hatte und der Vater nicht mehr bei ihnen lebte, da er die Familie und die Glaubensgemeinschaft verlassen hatte. Ich hätte es mir nicht unbedingt ausgesucht, nochmals mit dem Familienleben konfrontiert zu werden. Ich scheute mich Familienkonstellationen mitzuerleben, dachte, das Heimweh würde in mir wieder aufbrechen und es mir noch schwerer machen. Doch diese Sorge war unbegründet, denn ich sah in ganz andere Situationen und Konstellationen, sah in eine Welt, die ich nicht kannte. Ich sah, wie schwer das Aufwachsen in so einer Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche war, wie schwer es für sie war, mit ihren diffusen Gefühlen klarzukommen.
Ich sah eine große Abhängigkeit, in die die junge Generation geführt wurde. Gerne blieben die einen im Schutz der Glaubensgemeinschaft und gliederten sich einem der Gemeinschaft zugehörigen Betriebe an. Die anderen machten ihren Gefühlen Platz, indem sie mit Wut und Ablehnung den Eltern, noch häufiger der Glaubensgemeinschaft begegneten. In diesen emotionalen Durchbrüchen konnte keine heile Welt mehr vorgespielt werden und die offen ausgetragenen Streitigkeiten zwischen Mutter und Kind waren für uns Mitbewohnerinnen schwer zu ertragen.
Ich stand meist mittendrinn und dazwischen. Die Spannungen entluden sich immer häufiger, eskalierten und führten zu einem Wechsel in der WG: Eine Mitbewohnerin, die Hauswirtschaftslehrerin war, zog aus, sie wollte sich nicht mehr mit den Ausrastern der Kinder herumschlagen, sie hatte genug. Es folgte unmittelbar eine Nachmieterin, die ebenfalls im Pflegeheim der Glaubensgemeinschaft tätig war.