Am sehr frühen Sonntagmorgen machte ich, damals Mirjam genannt, mich auf den Weg zum Grab. Bei mir waren Maria und Martha. Die beiden hatten Erfahrung mit dem Einbalsamieren eines Leichnams, für mich würde es das erste Mal sein. Wir gingen den steinigen Weg zum Grab. Noch war die Stadt ruhig, es waren nur sehr wenige Menschen unterwegs. Als wir am Grab ankamen, sahen wir die zwei Wachleute. Vor einem mächtigen Stein sitzend, waren sie eingeschlafen. Wir weckten sie. Mürrisch und noch etwas schlaftrunken, waren sie bereit, den großen Stein zur Seite zu bewegen, der vor das Grab geschoben worden war.
Ich war in tiefer Trauer, noch im Schmerz des Erlebten und gleichzeitig, obschon zum wesentlich kleineren Teil, erfasst von dem großen Geschehen. Jesus hatte uns in alles eingeweiht und uns gesagt, dass es so kommen würde. Er würde am Kreuz sterben. Wir waren eingeweiht darüber, dass Er sich zum Opfer für alle Menschen machte. Und so mischte sich in die Trauer des Verlustes, die mit all ihrer Schwere auf mir lag, ein tiefes, ruhiges Gefühl. Eine Gewissheit, dass alles gut war, so wie es war. Jesus hatte uns so viel erklärt, so viel gelehrt. Ich war ‹angefüllt› von Seiner Liebe zu allem und jedem Menschen, sodass ich mich aufgehoben fühlte und, trotz des Verlusts, nicht verlassen. Maria und Martha ließen mir den Vortritt. Ich bat sie darum, einen Moment allein bei ihm sein zu können, um Abschied zu nehmen. Ich ging vorsichtig in die Grabhöhle. Es war dunkel und das Erste, was ich wahrnahm war, eine getragene, angehobene, ja beinahe heilige Schwingung. Gerade so, wie wenn man den Innenraum eines Tempels betreten würde. Als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass auf dem Stein, auf dem der Leichnam liegen sollte, nur noch ein Tuch lag. Erschrocken und ungläubig blickte ich mich in der Grabkammer um. Sie war leer. Jesus war weg! Sein Leichnam war weg! Verschwunden! Nach einem kurzen Moment heftigen Entsetzens, erfasste mich eine Freude, weil ich erkannte: Es war genau so, wie ich das Leben an Jesus Seite kannte. Immer wieder passierte etwas Unerwartetes, Er brachte Lahme zum Gehen, heilte blinde und kranke Menschen, beruhigte den Sturm, wir speisten mal bei den Mächtigsten und Reichsten, am nächsten Tag, nächtigten wir im Kuhstall. Die Tage mit Ihm waren so voller überraschender Dinge, die passierten, dass ich in diesem Moment, als ich in seinem leeren Grab stand, tief berührt war und mir, ob der Erkenntnis Tränen in die Augen schossen. Natürlich würde Er nicht «einfach so» von uns gehen! Nichts in Seinem Leben war einfach so! Es verschlug mir den Atem. Fassungslos stand ich im leeren Grab. Gefühlt war es eine Stunde, doch es waren wohl nur wenige Sekunden. Und dann plötzlich war in mir ein Gedanke: Vielleicht hatte Er sich selbst zurückgeholt, so wie Er es bei Lazarus gemacht hatte! Er würde damit allen, Gott und dass Er wirklich Sein Sohn war, beweisen können! Genial! Es wäre, nach all den Wundern, nahezu perfekt, da alle gesehen hatten, dass Er, vor aller Augen, am Kreuz gestorben war. Ich glaubte, den Plan verstanden zu haben. Wahrscheinlich war Er in der Nacht, als die Soldaten schliefen, woanders hingegangen! Genial, einfach genial…. Mein Gedankenstrom wurde unterbrochen: «Mirjam, was machst du?», hörte ich von draußen die beunruhigten Stimmen, «Können wir reinkommen, ist es okay, wenn wir jetzt reinkommen?» Langsam und ruhig trat ich aus dem Grab und sagte zu den beiden Schwestern: «Ihr könnt reingehen.» Maria und Martha kannten Jesus schon seit vielen Jahren. Wir waren oft zu Gast auf ihrem kleinen Gehöft vor Jerusalem gewesen. Entschlossen und doch ehrfürchtig, trat Martha ein, dahinter etwas zaghafter, folgte ihr ihre Schwester Maria. «Aber wo, wo ist Er?» «Er … Er ist … ist … ja gar nicht da!» «Mirjam, was hast du …» Sie wurde in ihrem Satz jäh unterbrochen von den beiden Soldaten, die ob den lauten Stimmen aus der Grabhöhle unruhig geworden waren, und ihrerseits ins Grab gestürzt waren, um nach dem Rechten zu sehen. «Was ist hier los?» «Was geht hier vor sich?» Alle vier stürmten aus der Grabhöhle, allen voran Martha, sie schaute mich ebenso entsetzt wie erschrocken an. «Wo ist Er? Wo ist Er?», fragte sie. Der eine Soldat hatte das Tuch in der Hand, das im Grab gelegen hatte und schaute mich vorwurfsvoll an: «Was hast du gemacht?! Wo ist Er?!» «Woher soll ich denn das wissen?» «Du warst als Erste im Grab!» «Ich habe nichts gemacht, ich habe es genauso vorgefunden, wie ihr es vorgefunden habt!», entgegnete ich und fügte dann etwas trotzig hinzu: «Er ist weg!» Aufgeregt wedelte der Soldat mit dem Tuch in der Hand: «Das müssen wir melden, das müssen wir sofort melden!» «Bleib du hier, ich werde es dem Tribun melden. Halte du weiter Wache!», befahl er seinem Kollegen und verschwand.
Ich hatte verstanden, was nun zu tun war: Wenn der Soldat das Verschwinden von Jesus Leichnam dem Tribun melden würde, würde man sofort einen Suchtrupp losschicken, um Ihn zu finden. Sie würden seine Anhänger aufsuchen und befragen und alles Mögliche anstellen, um aufzuklären, was geschehen war. Wir mussten also schnell handeln. «Maria, Martha, kommt wir gehen!», sagte ich bestimmt und entschlossen. «Aber, aber wir können doch nicht …» «Es gibt hier im Moment für uns nichts mehr zu tun.», sagte ich und trat dabei den Rückweg an. Etwas verwirrt und unsicher folgten mir die beiden. Noch wäre Zeit genug, es war sehr früh am Morgen, es würde einige Zeit dauern, bis die Suchtrupps mobilisiert waren. Es war wichtig, alle zu informieren, die noch in Jerusalem waren. Wir müssten einen Raum haben, wo alles sich versammeln konnten. Ich beschloss, mich von Martha und Maria zu trennen, damit wir schneller allen Bescheid geben und uns versammeln konnten. «Ich komme, sobald ich alle benachrichtigt habe. Wir treffen uns schnellstmöglich da, wo wir mit unserem Herrn zum letzten Mal gegessen haben. Ich werde mich beeilen.», verabschiedete ich mich von ihnen und machte mich auf den Weg zum östlichen Teil Jerusalems, um einige unserer Freunde zu informieren. Wir waren eine kleine Gruppe, etwa drei Dutzend Leute. Es waren noch mehr, die regelmäßig mit Jesus unterwegs waren, doch einige von ihnen waren in Bethanien geblieben. Sie waren schon älter und wollten sich nicht in das Menschengetümmel, das in Jerusalem zum Pessachfest anzutreffen war, begeben.
Es war wichtig, keine Zeit zu verlieren. Mit gesenktem Kopf ging ich schnellen Schrittes an der äußeren Linie der Stadtmauer entlang. Es war der schnellste und einfachste Weg Richtung Ostteil. Die Morgensonne war schon etwas stärker geworden und schien mir ins Gesicht. Ich hatte den anderen beiden noch nichts erzählt über meine Erkenntnis, in der ich meinte, den Plan zu kennen. Die Soldaten sollten es nicht mitbekommen. So sehr ich mich anfänglich über die Genialität des Erkannten gefreut hatte, erschlich mich nun eine große Sorge: Wenn Jesus noch lebte, würde Er ab jetzt ein Verfolgter sein! Sie würden ihn überall suchen. Wir… Ich hatte nicht auf den Weg geschaut und stolperte über eine Wurzel, die aus dem Weg herausragte. «Beruhige dich!», hörte ich in mir. Ich setzte mich auf, lehnte mich an den Baum, um kurz innezuhalten. Ich schaute in den weiten Horizont und versuchte zu fassen, was gerade geschehen war, als ich neben mir eine Gestalt wahrnahm. Ich konnte sie nicht sehen und sie warf auch keinen Schatten. Doch sie war deutlich zu spüren. Ich sah sie, aber nicht mit meinen Augen, sondern es war eine Art inneres Sehen. Sie war etwas größer als eine Menschengestalt, sie war hell und licht, heller als die Morgensonne und es ging eine tiefe Ruhe und Frieden von ihr aus. «Mirjam.», hörte ich in mir, «Mirjam, was suchst du den Lebenden bei den Toten?» Ich kannte diese Stimme. Es war Seine Stimme, so sprach nur Er! «Herr? Du…?» Ich sprang auf und ich wollte Ihn umarmen, in Seine Arme fallen und wissen: Alles ist gut! «Berühre mich nicht!», hörte ich die Stimme in mir, «Ich bin nicht von Menschengestalt!» «Das kann ich sehen. Was ist mit Dir geschehen?» «Ich bin auferstanden.» «Auferstanden? Auferstanden – Du hast es uns gesagt, Du würdest am dritten Tag auferstehen. Ich wusste nicht, was es bedeuten soll.» Verwundert stand ich vor Ihm und fühlte das größte Glück, das ich fühlen konnte: «Du bist da! Du bist da! Ich kann Dich sehen!» «Jeder wird Mich sehen können, der eine Verbindung zu Mir hat und es zulässt.» «Die anderen nicht?» «Man kann Mich nur mit dem Herzen sehen, das sich zu Mir und zum Vater erhoben hat.» «Ich kann Dich hören!» «Du nimmst Mich in dir wahr.» «Auferstanden. Heißt das, Du bist da, auch wenn Du nicht da bist? Nur für diejenigen sicht- und hörbar, die an Dich und den Vater glauben?» «So ist es!» Ich verstand: «Genial! Und so fair … dann können…, dann können all die, die Dich anzweifelten und sich beschwerten, die sich lustig gemacht und Dich bekämpft haben, die, die immer genervt haben und uns störten, die können Dich dann nicht sehen? … für die bist Du gestorben …» Meine Begeisterung wurde klar und bestimmt unterbrochen: «Mirjam! Mirjam! Höre Mir zu, es ist wichtig: Berichte dies allen, die mit uns unterwegs waren, den Jüngern und den Jüngerinnen und all unseren Freunden! Hörst du?» Ich verstand: Sie sollten dies noch in Ruhe aufnehmen können, bevor der Tumult und die große Suche losging. «Herr, oh Herr, ich würde Dich so gerne umarmen, um mit Dir meine Freude zu teilen! Du bist da! Ich kann es fast nicht glauben, mein Herz springt fast aus meiner Brust …» «Nimm deine beiden Hände Mirjam, lege sie flach über deiner Brust übereinander. Drücke sie leicht an dich.» Ich tat wie mit geheißen und stellte erstaunt fest: «Es fühlt sich fast so an, als würden wir uns umarmen!» «Das tun wir auch – im Geist! Mirjam, es wird eine Neue Zeit gekommen. Wir werden noch vieles zusammen erleben. Unsere eigentliche Beziehung beginnt jetzt. In dir und in jedem, der dies möchte! Teile dies mit allen, die du triffst!»
Schweren Herzens, den Totgeglaubten wieder verlassen zu müssen, verabschiedete ich mich von Jesus, so wie Er es mir gezeigt hatte. «Ich habe die Menschenhülle Jesus abgelegt. Nun bin Ich Christus, der Gesalbte, der Auferstandene, der Sieger über Leben und Tod, König der Könige! Nenne Mich ab jetzt Christus, denn der Menschensohn ist auferstanden.»
Ich schwebte und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich den Weg in die Oststadt hinter mich gebracht oder wie ich alle zusammengetrommelt habe. Einige von ihnen traf ich tief im Gebet versunken, einige schliefen noch und andere störte ich bei der Totenwache. Ich brannte darauf, ihnen alles berichten zu können. Wir saßen in dem Raum, in dem wir uns zuletzt getroffen hatten, am letzten Abend vor Jesus Verhaftung. Der Herr hatte mit uns Sein Brot und Seinen Wein geteilt. Er würde Sein Blut für alle hingeben, hatte Er gesagt. Er brach Sein Brot in viele Stücke, verteilte es an uns und sagte, dies wäre Sein Leib, der für alle hingegeben würde. Wir haben damals nichts davon verstanden. Erst jetzt, angesichts Seines Todes am Kreuz, wurde etwas verständlicher, was Er gemeint hatte, wahrscheinlich würden wir die Bedeutung des ganzen Geschehens erst viel später verstehen. Es war mit Jesus immer so. Man verstand nicht, was Er machte und warum Er etwas so, oder so entschied. Die Erfahrung zeigte, dass es im Nachhinein immer von viel größerer, tieferer Bedeutung war, als wir im Moment des Geschehens erfassen konnten.
Es war eine traurige, bedrückte Stimmung im Raum, in dem wir uns versammelt hatten. Für die meisten von uns war es der Ort, an dem sie unseren Herrn das letzte Mal vor seinem Tod gesehen hatten. Die Männer, deutlich in der Mehrzahl, machten ernste und sorgenvolle Gesichter. Viele Frauen waren in Bethanien geblieben oder am Samstag wieder dahin zurückgekehrt. Der Tumult des Pessachfestes, passte nicht zur Trauer und dem Schmerz der Kreuzigung Unseres Herrn und Meisters. Auch Maria, Seine Mutter, hatte sich mit einigen Begleiterinnen ins ruhigere Bethanien zurückgezogen.
«Du hast uns in aller Frühe zusammengerufen Mirjam, was hast du zu berichten?», eröffnete Petrus die Runde. Angesichts der betrübten Stimmung der Anwesenden, fiel es mir schwer, der Freude und Glückseligkeit in mir keinen Raum zu geben. So sachlich, wie es mir möglich war, sagte ich: «Wie soll ich sagen? Jesus … also nein … Er sagte: Christus. Er lebt!» «Wer ist Christus? Und was sagte Er?», fragte Petrus ungehalten neugierig, gleichzeitig aber auch sichtlich irritiert über meine Freude. «Also, Jesus sagte mir, Er sei jetzt Christus und …» «Jesus ist am Freitag am Kreuz gestorben, wann hat Er mit dir gesprochen?», entgegnete er mürrisch. «Also: Ich habe Ihn gerade eben auf dem Weg vom Grab an der Stadtmauer getroffen und …» «Jesus oder Christus?», wollte Andreas wissen. «Ja …, beide!», setzte ich erneut an und versuchte zu erklären: «Also, … den gestorbene Jesus und den auferstandenen Christus.» Ein missmutiges Raunen ging durch die Gruppe, sie schauten mich verwirrt durch ihre verheulten Augen an, andere blickten mürrisch oder verärgert. «Also», versuchte mir Johannes zu Hilfe zu kommen, «Du hast mit zwei Personen gesprochen: Jesus, obwohl das nicht möglich ist und mit Christus …» «Nein, nein, es war eine Person!» «Du redest wirres Zeug! Wir alle trauern um unseren Herrn und du versammelst uns hier, um uns wirres Zeug zu erzählen?» «Nein, ich …, Jesus ist nun auferstanden. Er sagt, Er wäre jetzt Christus, der Gesalbte.» «Ihr seid doch zu seinem Grab gegangen, um Ihn zu salben. Martha sagte uns, Sein Leichnam wäre nicht mehr da gewesen. Erzähle uns alles von Anfang an!», versuchte Lukas die Situation zu entschärfen. Er hatte ein ruhiges und besonnenes Gemüt und kannte sich als Arzt mit Salbungen aus. Also erzählte ich, was ich erlebt hatte: Vom leeren Grab, vom Aufbruch der Soldaten und dann von meiner Begegnung mit Jesus-Christus. «Also ist Er dir nur in deiner Fantasie erschienen?» «Nein, es war keine Fantasie, es war real!» «Aber du sagtest, dass Er dir sagte, du solltest Ihn nicht berühren. Also war Er nicht real!» «Ich habe Ihn gesehen und mit Ihm gesprochen!» Jakobus, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, fragte ruhig: «War Er aus Fleisch und Blut? War es Jesus, so wie wir Ihn kannten?» «Nein, natürlich nicht! Er war nicht aus Fleisch und Blut … er … » «Dann war Er nicht real!», schoss Andreas hervor, der offensichtlich keine Geduld mehr hatte, mir zuzuhören. «Doch, Er ist auferstanden!» «In deiner Fantasie!», doppelte Andreas nach. «Es ist ungebührlich, dich heute Morgen so ins Rampenlicht zu stellen und dich damit hervorzutun, du hättest etwas gesehen, was wir alle nicht gesehen haben! Wir sind in Trauer um unseren Meister und du meinst, dich hier wichtigmachen zu müssen, mit einem geheimen Auftrag, den Jesus nur dir gegeben haben soll!», fuhr mich Johannes an. «Schon immer hast du dich damit hervorgetan, dass Er mit dir mehr geteilt hat, als mit uns allen, und jetzt versuchst du damit eine besondere Stellung einzunehmen, kaum dass Er gestorben ist!» «Es ist nicht zu fassen! Das werde ich nicht zulassen!», sagte Petrus außer sich vor Wut. «Aber Jesus konnte Mirjam Dinge lehren, die wir nicht verstanden haben. Sie hatten immer ein besonderes Verhältnis zueinander, Petrus!», kam Jakobus mir zu Hilfe. «Du glaubst ihr? Meinst du wirklich, der Herr hätte nur sie in Seinen Plan eingeweiht? Ich erinnere dich: Er war der Gerechte, ja der gerechteste Mann, den ich je getroffen habe. Er hätte niemanden vorgezogen! Er wäre, wenn, dann uns allen gleichzeitig erschienen! Ja mehr noch: Wenn wahr ist, was Mirjam sagt, warum zeigt sich ihre Erscheinung nicht auch hier? Uns allen? Wäre das nicht die Art, wie Er sich zeigen würde?» «Er ist öffentlich gestorben, dann würde Er auch öffentlich wiederkommen!», hörte ich eine Stimme aus den hinteren Reihen, ohne sehen zu können, wer sprach. Ich war wütend und verletzt zugleich. Den Tränen nahe, brach es aus mir heraus: «Ihr glaubt mir nicht? Warum sollte ich euch anlügen? Ja, Er ist öffentlich gestorben, ihr alle wart nicht dabei! Feige wart ihr! Warum sollte Er nicht denen zuerst erscheinen, die dabei waren?» «Johannes, du warst dabei! Ist der auferstandene Jesus dir auch erschienen?», fragte Lukas und versuchte die erhitzte Debatte zu beruhigen. «Nein. Er sagte, Er würde auferstehen, aber zeigte sich mir nicht, und ich bin sicher, Er hätte sich mir auch gezeigt, ich bin, wie ihr alle wisst, immer sein Lieblingsjünger gewesen, weil ich, im Gegensatz zu euch, des Lesens und Schreibens mächtig bin. Ich bin ein Gelehrter und somit konnte ich besser verstehen, was Jesus …» Es ging ein Raunen durch die kleine Gruppe, die sich versammelt hatte. «Jetzt fang du nicht auch noch an damit, dich hervorzutun!» «Du warst ja gar nicht dabei, als …» Viele schnaubten und jeder teilte mit seinem Sitznachbarn seine Meinung aus. Es war ein großes Durcheinander und sie begangen damit, sich jetzt gegenseitig zu beschimpfen.
«Schluss! Schluss! Ich werde diese Versammlung nun auflösen!», ergriff Petrus das Wort, «Jesus übergab mir die Verantwortung, wie ihr alle wisst. Er sagte zu mir: Ich wäre der Fels, auf den Er bauen will! In diesem Sinne …» Tränenüberströmt erhob ich noch einmal meine Stimme: «Ich wollte nicht, dass das alles passiert! Er hat mich darum gebeten, es euch zu sagen! Ich sollte euch allen davon berichten!» Es stieß voll Schmerz aus mir heraus: «Das habe ich hiermit getan!» Warme Tränen liefen über meine erhitzten Wangen, als ich die Türe hinter mir zustieß. Ich war verletzt, voller Wut und Enttäuschung, ein dicker Kloß saß in meinem Hals und auf meiner Brust, auf der ich gerade noch Seine Umarmung gespürt hatte. Was war nur passiert? Mit uns, Seinen Jüngern und Jüngerinnen, Seiner Truppe? Als ich heulend meine Sachen zusammenpackte, um zu Seiner Mutter Maria nach Bethanien zu reisen, in der Hoffnung, wenigstens sie würde mich verstehen, verstand ich, was passiert war: Jesus war gestorben!
Es würde nie mehr so sein, wie es gewesen war.