Sterbebegleitung

Verborgenes Leben, 11. Dezember 2023
23 Jahre alt

Mein Vater fehlte mir sehr, als ich selbst auf den Glaubensweg kam. Ich hätte ihn gerne gefragt, wie er so wurde, wie er seine Haltung errungen hat; doch er war nicht mehr da. Um das alles zu verarbeiten, engagierte ich mich in der Sterbebegleitung, die in unserem Freundeskreis, aber auch darüber hinaus nötig wurde.

Ich erinnere mich an lange Gespräche, in denen ich nicht viel sagte, in denen ich zuhörte und Nähe gab, so wie ich es damals vermochte. Ich erkannte in dieser Begleitung, an der Seite des Hinterbliebenen, der allein weiter machen musste, das große Geschenk, das derjenige bringt, der zurückbleibt, der den Schmerz aushält, ohne den Sterbenden zurückzuhalten, ohne im Selbstmittleid zu versinken, in einer ehrlichen Trauerarbeit fähig wird, Abschied zu nehmen, in dankbarer Erinnerung an das, was sein durfte, aber auch im Frieden an Versäumtes und Nicht-Wiederkehrendes.

Ich hatte zudem ein Buch der Sterbeforscherin Kübler-Ross gelesen und diese vertrat darin die Ansicht, das Schlimmste sei, wenn der Sterbende allein gelassen würde. Das konnte ich gut verstehen und ich nahm diese Meinung in mich auf.

Für mich hatte ich meinen Vater allein gelassen – nicht im Äußeren, im Inneren. Nicht alleine zu lassen, stehen zu bleiben und Worte zu finden, wo es keine mehr gibt, das eigene Gefühl, die eigene Intuition ernst zu nehmen, in sich hineinzuhören und darauf zu vertrauen, waren die Lektionen, die ich mir in dieser Zeit der Sterbebegleitung erarbeitete. Mein Weg begann im Herzen, im Mitgefühl. Und damit versuchte ich, was ich meinem Vater nicht geben konnte, jetzt anderen Menschen zu geben. Doch ich wollte mehr. Ich wollte auch besser vorbereitet sein, wollte in schweren Situationen Hilfestellung geben können, so weit mitgehen, wie es der Sterbende zulässt und erlaubt.

Im Wissen, wie schwer es ist, geliebte Angehörige los- und gehenzulassen, hielt ich weiter an Sterbebetten Wache. Dabei suchte ich meine Aufgaben nicht, sie wurden mir gezeigt, vor die Tür gelegt oder in den Weg gestellt.

VERBORGENES LEBEN

 

«Schreibe für dich den Weg, der bei dir zur direkten Kommunikation geführt hat auf, denn es hilft dir beim Helfen!»