Drei Fragen

Am Anfang, 29. Mai 2020

Die zwei Wochen, in denen die Jünger verkünden wollten, waren schnell vorbei und so traf am Ende der zweiten Woche eine ungewöhnlich heitere Truppe in Bethanien ein. Sie berichteten, dass ihnen Jesus einige Male erschienen war. Das erste Mal, hatte Er sich ihnen am See Genezareth gezeigt und sie hatten Ihn nur daran erkannt, dass die gleiche Szene, die sie schon einmal mit Ihm erlebt hatten, sich noch einmal wiederholte. Simon Petrus hatte sich gesehnt danach, wieder einmal fischen zu können. In der ersten Nacht, nachdem sie in seiner Heimat angekommen waren, war er mit einigen Jüngern rausgefahren, um Fische zu fangen. Er war so begeistert, dass er ausführlich zu erzählen begann: «Es war nicht ein Fisch in meinem Netz und wir fuhren enttäuscht zurück ans Ufer. Das stand ein Greis, der uns fragte: ‹Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen?› Ich antwortete ihm, dass ich nichts gefangen hätte, da sagte er zu mir: «Fahr nochmal raus, werfe dein Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und du wirst erfolgreich sein.» Ich wunderte mich über diese Anweisung, da ich jedoch ein wenig aus der Übung war, dachte ich, ein Versuch wäre es wert und ich fuhr noch einmal alleine raus. Ich warf mein Netz auf der rechten Seite aus, und es dauerte nicht lange, da war es voller Fische! Ich traute meinen Augen nicht und schaute beglückt ans Ufer, auf den Mann und ich erkannte Ihn. Es war Jesus! Augenblicklich vernahm ich Seine Stimme in mir: ‹Simon Petrus, vertraust du Mir? › ‹Oh ja, Mein Rabbi, Du weißt, das tue ich. › ‹Simon, dann weide Meine Lämmer. Simon Petrus, liebst du Mich, mehr als das Fischen? › ‹Ja, Mein Meister, das tue ich!›, gab ich Ihm zur Antwort. Er sagte zu mir: ‹Dann hüte Meine Schafe. Doch Petrus, liebst du Mich? › Ich antwortete Ihm: ‹Meister, sonst wäre ich Dir nicht so lange nachgefolgt. Täte ich es nicht, wäre ich längst zum Fischen zurückgekehrt! › ‹Dann weide Meine Schafe, Petrus! Ich werde dich führen. Als Fischer hast du dich selbst geführt. Nun werde Ich dich führen, an einen Ort, an den du nicht willst. Folge Mir nach Petrus! › Das waren die letzten Worte, die der Meister zu mir sprach. Der Meister hatte mich in Seine Nachfolge gerufen! Er würde mich führen! Überglücklich fuhr ich mit dem stolzen Fang zurück ans Ufer. Die anderen hatten in der Zwischenzeit ein Kohlefeuer gemacht und wir legten die Fische darauf, um sie zu braten und verteilten sie unter den Armen und Hungrigen im Dorf. Zusätzlich zu den Fischen verbreiteten wir die frohe Botschaft unseres Meisters, des Erlösers, der am Kreuz gestorben und wieder auferstanden war. Es war so wunderbar, die Leute waren neugierig und wollten alles wissen. Und so zogen wir bald weiter und verbreiteten überall die frohe Kunde!»

Damit hatte Petrus die Erzählung über seiner Begegnung mit Jesus beendet, doch die restlichen Jünger konnten gar nicht abwarten, auch ihre Erlebnisse mit uns zu teilen. Anders als erwartet und von ihnen eingangs geplant, hatten sie sich auf ihrer Reise nicht aufgeteilt. Es zeigte sich, dass es Johannes des Öfteren möglich gewesen war, mit dem Herrn in seinem Inneren zu sprechen und Sein Wort auch an die anderen weiter zu geben. Diesen Kontakt wollte keiner der Reisenden missen. «Doch in den letzten Tagen, nachdem wir unseren Rückweg angetreten hatten, habe ich nichts mehr vernommen.», erklärte Johannes der Runde.

Nun erzählten auch wir von unserem Erlebnis am Ölberg und davon, dass Jesus uns gesagt hatte, Er würde nun zurückkehren in des Vaters Haus. «Ja, aber, was soll das bedeuten? Ich dachte, Er wäre auferstanden! Dies würde doch endlich beweisen, dass Er der Retter ist! Und jetzt ist Er fort?», brachte Simon, der Zelot sein Unverständnis zum Ausdruck. «Und wir waren nicht dabei?», fügte Johannes hinzu, «Das ist unvorstellbar! Ihr müsst euch täuschen!» «Ist Er euch seitdem wieder erschienen?», wollte Matthäus wissen. «Nein seit ein paar Tagen war Er nicht mehr bei uns.», sagte Johanna, was die Jünger zu beruhigen schien. Ich musste nun doch sprechen: «Im Traum war Er da.» Ich hielt noch einmal kurz inne, um zu überlegen, ob ich tatsächlich meinen Traum mit ihnen teilen sollte und entschied mich dafür, offen zu sein: «Er hat mich das Gleiche gefragt, wie Petrus.» Unsere Blicke trafen sich. Jesus hatte Petrus und mir die gleiche Frage gestellt. Immer schon hatte Er sich bemüht darum, uns auszugleichen, da immer wieder Spannungen zwischen uns entstanden. Wenn immer Jeschu etwas predigte oder durch ein Gleichnis etwas erklärte, war es so, dass das, was Petrus und ich verstanden hatten, unterschiedlicher nicht hätte sein können. Doch mit Seiner Frage, die Er uns beiden nach Seinem Tod gestellt hatte, hatte Er uns gleichgestellt.

Meine Begegnung mit Jeschu im Traum fand in der Runde keine weitere Beachtung, vielmehr hatten, nachdem ich gesprochen hatte, sofort einige Jünger von ihren Träumen erzählt. Auch andere hatten von Jesus geträumt, Er hatte sie aber nicht dreimal gefragt, ob sie Ihn lieben würden. Noch lange dachte ich in jener Nacht darüber nach, was dieses dreifache Fragen zu bedeuten hatte. Meiner Erfahrung nach, hatte alles, was Jesus tat oder sagte eine besondere Bedeutung. Alles hatte eine zweite, tiefere Ebene, die sich einem nur erschloss, wenn man länger darüber nachdachte. Doch wenn man diese Ebene erfassen konnte, war es so, als würde man ein tieferes Verständnis über das Leben gewinnen, eine Art eingebettet sein, eine Verbundenheit mit allem Leben. Ich sehnte mich nach diesem Gefühl und wollte verstehen. Warum hatte Jesus mir nicht aufgetragen Seine Schafe zu weiden? Und warum hatte Er Simon und mir die gleiche Frage gestellt, obwohl wir so unterschiedlich waren? Warum uns, obwohl gerade bei uns beiden kein Zweifel daran bestehen konnte, dass wir unseren Meister und Rabbi über alles liebten? Und warum hatte Er die Frage dreimal gestellt? Die erste und zweite Frage konnte ich verstehen, aber die dritte? Nachdem ich Petrus Antwort gehört hatte, konnte ich mir vorstellen, dass auch er nicht verstanden hat, warum Jesus ihm dreimal die gleiche Frage gestellt hatte. Unruhig wälzte ich mich auf meinem Nachtlager hin und her und versuchte mich an den Traum zu erinnern. Was genau waren Seine Worte gewesen? Ich versuchte mich wieder in das Gefühl des Traums zurück zu schwingen und spürte dabei immer mehr, wie die Müdigkeit über mich kam. Kurz vor dem Einschlafen fiel es mir wieder ein. Der Traum hatte mit der dritten Frage und meinem Unverständnis darüber geendet! Voller Schrecken wurde mir bewusst: Ich hatte die dritte Frage gar nicht beantwortet!

AM ANFANG

 

«Ich war in tiefer Trauer, noch im Schmerz des Erlebten und gleichzeitig, obschon zum wesentlich kleineren Teil, erfasst von dem großen Geschehen. Jesus hatte uns in alles eingeweiht und uns gesagt, dass es so kommen würde. Er würde am Kreuz sterben.»