In Ungnade

Verborgenes Leben, 4. November 2025

Während meiner Abwesenheit stellten die Vorgesetzten des Pflegeheims die Weichen für mich neu. Die Rückkehr an meinen ursprünglichen Arbeitsort wurde mir verwehrt. Ich empfand diese Trennung den Senioren und den Angehörigen gegenüber als unbarmherzig, waren doch Beziehungen gewachsen und Vertrauen aufgebaut. Über die Gründe kann man spekulieren, doch die wahre Motivation lag und liegt in der Verantwortung der Vorgesetzten, die diese Entscheidungen trafen. Ich hatte mich verwundert damit abgefunden und mich gefügt. Gerne wäre ich noch bei ihnen vorbeigegangen, hätte auch die ehemaligen Mitarbeiter besucht, doch es fühlte sich nicht gut an. Was sollte ich auf Fragen antworten, wie konnte ich diese Entscheidung vertreten? Ich wollte alle schützen und deshalb vermied ich es, zu dieser meiner Heimfamilie, die mir ans Herz gewachsen war, zurückzukehren.

Mein neuer Arbeitsort befand sich im Nachbarort, in dem es ein kleineres Seniorenheim gab. Dort stieß ich auf neue Senioren und Seniorinnen und arbeitete mit einer Pflegerin, welche ich aus dem ersten Heim bereits kannte. Sie stammte ursprünglich aus der Schweiz, wo sie Pflegerinnen und Pfleger ausgebildet hatte, somit über eine solide Fachkompetenz verfügte. Sie war damals aufgerufen worden, im Kreis der Prophetin im Heilwesen mitzuwirken. Doch dieses hatte sich für sie nicht einfach gestaltet. Immer wieder wurde sie darauf angesprochen, dass die Prophetin wegen ihr nicht schlafen könne. Sie wurde so lange in Frage gestellt, bis sie zutiefst verunsichert war, sich unwürdig fühlte und ehrlich dazu stand, zu diesen Gefühlen stand, vor der ganzen Gemeinde dazu stand. Im Anschluss wurden alle in der Gemeinde gefragt, sie sollten darüber abstimmen, ob die Schwester aus der Gemeinde ausgeschlossen werden sollte oder eben nicht. Die Gemeinde war sich nicht einig, die einen fühlten sich mit ihr verbunden, die anderen eben nicht. Die Prophetin verließ verärgert den Raum und empörte sich über jene, die sich auf die Seite der Glaubensschwester schlugen und auch über die Glaubensschwester selbst, die, wie sie meinte, die Gemeinde spalten wolle. Daraufhin wurde die Schweizerin aus dem inneren Kreis ausgeschlossen und zur Persona non grata erklärt. Ihr Verhalten galt als Angriff gegenüber der Prophetin, ein Affront sondergleichen. Damit hatte sie sich in den Augen vieler disqualifiziert. Wer in den Augen der Prophetin in Ungnade fiel, hatte keine Chance. So verließ sie schließlich die Gemeinschaft und arbeitete viele Jahre außerhalb, in Würzburg, in einem Spital. Ihr Mann, der weiterhin im Dienst der Gemeinschaft blieb, hielt ihr die Treue.

Als Jahre später ein Aufruf gemacht wurde, in dem Pflegepersonal gesucht wurde, beschloss sie, ihre Arbeitskraft wieder für Christus und für Menschen einzusetzen, sich keinesfalls mehr in geistige Angelegenheiten einzumischen. Es mag befremdend erscheinen, dass sie erneut den Weg zurück in dieselbe Glaubensgemeinschaft wählte, doch das hatte tiefere Gründe. Als Mensch ist es nicht leicht, damit umzugehen, dass in der Seele etwas liegt, was der Verstand nicht fassen kann – es ist wie ein Ahnen, ohne zu wissen. Sie wurde wieder in den Dienst in der Pflegestation aufgenommen. Sie wollte sich einordnen und auch unterordnen, so wie es von ihr erwartet wurde.

VERBORGENES LEBEN

 

«Schreibe für dich den Weg, der bei dir zur direkten Kommunikation geführt hat auf, denn es hilft dir beim Helfen!»