Es gab innerhalb der Gemeinschaft immer wieder Aufrufe, in denen die Mitglieder schriftliche Stellungsnahmen abgeben sollten. Auf Grund dieser Rückmeldungen gab es sehr oft Ausgrenzungen. Welche Kriterien dabei eine Rolle spielten, war mir nicht klar und verstand ich auch nicht. Ich hatte jedenfalls keine Chance, denn ich genügte nicht.
Doch ich blieb treu – nicht der Prophetin, nicht den Menschen, nicht der Gemeinschaft – meine Treue galt einzig Jesus Christus und seinem Weg. Meine Treue galt auch nicht dem äußeren Bundesschluss, den man in der Glaubensgemeinschaft vollzog. Meine Treue galt Jesus in meinem Herzen und Gott in meiner Seele. Der äußere Bundesschluss, in dem man sich zu den Verantwortlichen für das Werk unserer Glaubensgemeinschaft und Gottes Wort gesellte, einen Bund mit Gott schloss, wurde auch als Druckmittel eingesetzt; man genügte oder eben nicht.
Einmal verbreitete sich ein Gerücht und ich sprach meinen Chef, der ja auch ein Glaubensbruder war, diesbezüglich an. Ich wollte nicht über das Gerücht sprechen, sondern wollte wissen, was der Wahrheit entspricht. Mein Chef, den ich schon aus der Schweiz kannte, fand dies so anmaßend, dass er anfing, sich über meine Qualifikation auszulassen. Er spreche über Inneres gewiss nicht mit jemandem, der nichts verstanden und schon gar nicht mit jemandem, der nichts geleistet habe. Ich war schockiert, ja, entsetzt über die Worte, die mein Chefbruder sagte. So dachte er? Er sprach mir Gott, meinen Glauben und meinen Weg ab. Zudem gab er mir zu verstehen, dass er sich verbitte, zukünftig von mir über Inneres angesprochen zu werden.
Mit allem hatte ich leben können. Doch wenn mein Glaube nicht galt, wenn er nicht die Basis in der Gemeinschaft war, was dann? Dieses Gespräch, in dem dieser Glaubensbruder seinen ganzen Frust, seinen ganzen Ärger, über all jene, die nach seiner Ansicht nicht genügten, über mich geschüttet hatte, war entscheidend und zerstörte in mir etwas Grundlegendes. Mein Glaubensfundament begann zu bröckeln. Hatte er nicht Recht? Was hatte ich denn schon geleistet? Hatten wir, hatte ich versagt, die Chance vertan? Die Stimme, die sich wie ein Gegner in mir aufstellte, hatte immer mehr Argumente, die sich gegen mich richteten und ich verlor immer mehr den Boden unter den Füssen. Es kamen auch einige Situationen dazu, die mir meine Aufgabe erheblich erschwerten: Ich bekam Schmerzen in der Hüfte, die langen Tage auf den Beinen zeigten ihre Wirkung. Außerdem wurde nun oft am Freitagabend noch eine neue Raumgestaltung angeordnet und musste sofort umgesetzt werden, was mich körperlich zunehmend überforderte und an meine Grenzen führte.
Trotzdem verkaufte ich gut, sehr gut. Einmal wurde eine Tischdekoration, die ich kreierte, vollumfänglich für ein Weihnachtsessen für 20 Personen übernommen und gekauft. Auch im Bereich der Möbel lief es gut, ich verkaufte viele Sofas, Tische und Stühle. Der Verkauf machte mir Spaß.
Als ich an Pfingsten zwei Tage zu meiner Familie fuhr, sagte ich nichts. Ich erzählte weder meiner Familie, wie es mir in Deutschland ging, noch sagte ich bei der Arbeit, dass ich in die Schweiz fuhr. Ich begann zu verheimlichen, sagte nicht die ganze Wahrheit.
Meine neue Unehrlichkeit gab mir zu denken und nicht die Wahrheit zu sagen, war für mich immer ein Teil der Lüge und das machte mir zu schaffen.
Als ich nach Pfingsten wieder zur Arbeit kam, wurde ich befragt, auf eine spezielle Art befragt. Man wusste, dass ich in die Schweiz gefahren war. Mir wurde Täuschung und Verschlossenheit vorgeworfen. Diese Anschuldigungen nahm ich nicht an, doch die Tatsache, dass ich nicht mehr an meiner Offenheit festhalten konnte und begann zu verheimlichen, beschämte mich sehr. Für mich gab es die Notlüge nicht, ich hatte keine Entschuldigung für mein Verhalten, Lüge ist Lüge und bleibt Lüge! Dies war mein Boden, den ich mir in der Schweiz erarbeitet hatte. Eine Stimme in mir bedrängte mich: «Du lügst, du hast gelogen, du bist unehrlich, unaufrichtig. Du kennst den Vater der Lüge, ihm folgst du, er ist dein Führer, jetzt ist es offensichtlich und sichtbar geworden!»
Ich wurde in der äußeren Situation im Gespräch überführt und – durch diese Stimme, auch im Inneren. Ich schämte mich vor mir selbst, vor Christus, vor unserem Vater und vor Gott. Ich verschloss mich zunehmend und mir wurde Verstocktheit vorgeworfen – und ich konnte es nicht von mir weisen.