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geistzeit
Die Glaubensgemeinschaft, in der ich ehrenamtlich aktiv tätig war, wuchs. Es gab verschiedene Zusammenkünfte und Veranstaltungen. Die Treffen wurden von Deutschland aus zentral organisiert und via Telefonschaltung unter anderem in die Schweiz übertragen. Zudem wurden Broschüren und Bücher mit den Glaubensinhalten herausgebracht.
Anstatt wie ihre Freunde die Sommerferien zu genießen, kämpfte Nicole in der Uniklinik Zürich um ihr Leben. Nachdem über Wochen mehrere Therapien nicht angeschlagen hatten, wollten die Ärzte einen nächsten Therapieversuch unternehmen mit drastischen Nebenwirkungen und ohne absehbare Ergebnisse.
Schon früh am Morgen war ich in der Uniklinik. Ich hatte alles bereitgelegt, um meine Tochter zu waschen, die Schwestern nahmen mein Angebot gerne an, als ich sie darum bat, dies an ihrer Stelle tun zu dürfen. Ich hatte eine feine wohlriechende Seife gekauft, deren Duft auch der Zimmernachbarin in die Nase stieg.
Das Zentrum unserer Glaubensgemeinschaft war in Deutschland und so war es unter den Schweizer Glaubensgeschwistern oft Thema, ob man nach Deutschland ziehen müsse, weil dort die Prophetin lebe und sich Betriebe und Wohngemeinschaften bildeten. Mir waren solche Überlegungen fremd, meine Familie und mein Umfeld zu verlassen unvorstellbar.
Ich war schon einige Monate in meiner Ausbildung zur Krankenpflegerin, bewältigte diese mit Freude und großem Geschick. Ich war erfüllt und voller Dankbarkeit, in meinem Alter noch eine Ausbildung machen zu dürfen, erlernte zusätzlich das fachliche Handwerk, das mir an den Sterbebetten oft gefehlt hatte, lernte, wie man jemanden hochhob, der regungslos im Bett liegt...
Ich wünschte mir meine eigene Sicht, meine eigene Wahrheit neu, in der Wahrheit durch Jesus, den ich liebte, durch Christus, den ich gerade erst kennenlernte und durch Gott, den ich als Vater anzunehmen wagte, wieder zu finden. Doch wie konnte ich weitergehen, wenn immer wieder neue Hiobsbotschaften mich erreichten?
Ich erlebte und durchlebte die Trauer um meinen kleinen Bruder aufs Intensivste. Ich weinte zwei Tage ohne Unterlass, begab mich noch einmal in all die Situationen, die uns als Geschwister verbanden und verbunden hatten. Als ich mich ausgeweint hatte, durch war damit, waren auch die Tränen versiegt.
Die Schicksalsschläge in meinem Leben, die Todesfälle in meiner Familie hatten mich schon früh nach dem Sinn des Lebens fragen lassen. Ich verstand, dass die Geborgenheit in der Familie nicht Ziel sein kann, dass es um weit mehr ging, und ich konnte erfassen und verstehen, dass ich die Geborgenheit in meiner Familie gesucht hatte, bis...
Rückblickend stellte ich fest, wie viele schwierige Lebenssituationen ich in meinem Familien- und Bekanntenkreis bewältigt hatte. Ich hatte mich immer dort eingebracht, wohin ich gerufen wurde. Ähnlich wie die fleißige Marie im Märchen Frau Holle. Marie, die auf den richtigen Zeitpunkt hörte und dann spontan handelte, wenn das Brot aus dem Ofen genommen werden musste.
Beim Treffen der Glaubensgemeinschaft zeigte sich eine weitere herausfordernde Situation: Aus dem Spendentopf wurde regelmäßig Geld entwendet. Das Spendenkörbchen wurde neben den Ausgang gestellt. Immer wenn ein bestimmter Glaubensbruder kam, fanden wir eine große Note im Spendentopf. Doch dann fehlte regelmäßig diese große Note, obwohl dieser Bruder dagewesen war.
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