Das blaue Gästehäuschen

Verborgenes Leben, 10. April 2025

Zu meiner Genesung gehörten auch Spaziergänge, die ich gerne in Begleitung mit meiner langjährigen Glaubensschwester Marianne machte, denn Bewegung an der frischen Luft tat uns beiden gut. So konnte ich also mehr Zeit mit Marianne verbringen, bei ihr ab und zu essen oder auch mal im Garten Kaffee trinken. Als ich vor Mariannes Wohnung auf der Terrasse saß und danach in der Wiese ein paar Schritte machte, richtete ich meinen Blick auf das Nachbarhaus. Es war mir, als würde dieses Haus zu mir sprechen, daher ging ich auch etwas näher heran. Es handelte sich um ein Haus, mit einer Wohnung im Erdgeschoss. Rahel plante, nach ihrer Ausbildung sich selbständig zu machen, eine Praxis zu eröffnen. Und ich hatte das starke Gefühl, dass dies der dafür geeignete Ort sein könnte. Marianne erklärte mir, als ich sie auf das Haus ansprach, dass die Besitzerin, die früher auch der Glaubensgemeinschaft zugehörig war, wegziehen und dieses Haus verkaufen wolle.

Als ich Rahel von meiner Begegnung mit dem Haus erzählte, reagierte sie spontan abweisend. Wenn sie sich nach ihrer Ausbildung selbständig machen und eine eigene Praxis eröffnen möchte, dann bestimmt nicht inmitten vom «Kuchen», so bezeichnete Rahel das Dorf, in dem sozusagen die Zentrale der Glaubensgemeinschaft mit den dazugehörigen Gebäuden, mit Veranstaltungsräumen, dem Verlag und Einkaufszentrum angesiedelt waren. Einen Neuanfang konnte sie sich im alten Feld nicht vorstellen, doch kannte sie auch die Erfahrung, dass die eigenen Vorstellungen nicht immer übereinstimmen mit den Möglichkeiten im Plan Gottes. Auf meinem bisherigen Weg mit Gott hatte ich gelernt, dass Vorstellungen begrenzen. Als ich vor Jahren vor dem Haus mit dem Anker stand, fühlte es sich wie ein Geschenk Gottes an. Obwohl es das Richtige für die Seele war, konnte ich nicht auf Anhieb zu etwas Ja sagen, das meine äußeren Möglichkeiten bei weitem übertraf. Mir war jedoch der Prozess bewusst, dass gerade dieses Abwägen entscheidend war, nämlich zwischen eigenen, begrenzenden Vorstellungen und dem, was Gott als Möglichkeit in seinem Plan aufzeigt.

Rahel musste darum nicht lange darüber nachdenken und zusammen mit mir schauten sie sich das blaue Gästehäuschen an. Als wir im Haus standen, durch die Zimmer gingen, vibrierte Rahels Inneres so stark, dass sie glaubte, im Haus wäre eine elektrische Spannung, die sie fühlte. Doch ich kannte dieses Gefühl als Seelenbewegung und beruhigte Rahel. Die Besitzerin erklärte, dass sie wegen ihrer fortgeschrittenen Sehbehinderung wegziehen wolle und dass es für sie kein leichter Ablösungsprozess sei. Schon bei der Besichtigung wurde klar, dass sowohl Rahel als auch ich diesem Projekt nicht abgeneigt waren. Wir mussten allerdings noch unseren finanziellen Möglichkeiten entsprechend, eine Lösung finden, denn wir konnten es uns nicht leisten, ein Haus zu kaufen.

VERBORGENES LEBEN

 

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