Arme Seelen

Verborgenes Leben, 28. Juli 2024

Ich war schon einige Monate in meiner Ausbildung zur Krankenpflegerin, bewältigte diese mit Freude und großem Geschick. Ich war erfüllt und voller Dankbarkeit, in meinem Alter noch eine Ausbildung machen zu dürfen, erlernte zusätzlich das fachliche Handwerk, das mir an den Sterbebetten oft gefehlt hatte, lernte, wie man jemanden hochhob, der regungslos im Bett liegt oder wie man jemanden umbettete, damit er nicht wundliegt.

Im Juni 1994, wenige Monate nachdem mein jüngster Bruder gestorben war, hatte ich im Kalender zwei Wochen Ferien eingetragen. Für mich waren es zwei schulfreie Wochen während meiner Ausbildung und Arthur hatte sich ebenfalls diese zwei Wochen frei genommen. Beide freuten wir uns darauf, einige Tage zusammen im Garten zu arbeiten, zusammen zu kochen und zu essen, vielleicht auch mal einen Ausflug zu machen. Wir freuten uns auf die gemeinsamen Tage, wie und wo, war uns nicht so wichtig. Wir waren bescheidene Leute, machten keine Ferien im Ausland, mussten nichts Besonderes erleben. Wir freuten uns auf gemeinsame, ruhige Tage.

Einige Tage vor unseren Ferien erkrankte Arthurs Mutter. Wir standen ihr gemeinsam bei, pflegten sie und hielten auch in der Nacht Wache, lösten uns gegenseitig ab, bis zu ihrem Tod, welcher auf den 16. Juni 1994 fiel, einen Tag vor meinem Geburtstag.

Als Arthurs Mutter drei Jahre zuvor in eine Alterswohnung, nur wenige Meter vom Elternhaus entfernt, wechselte, zogen wir in sein Elternhaus, nachdem wir es mit viel Herzblut in unzähligen Arbeitsstunden liebevoll renoviert hatten. Ich hatte meinen Schwiegereltern das Versprechen gegeben, ihnen zu helfen, für sie da zu sein im Alter. Ich konnte mein Versprechen halten, konnte meiner Schwiegermutter bis zum Schluss zur Seite stehen und helfen, das freute mich besonders.

Einige Tage bevor sie starb, beklagte sie sich über Schattengestalten, die in ihrer Stube wären, sie wünschte sich, dass diese gehen sollten. Sogar ihrer Enkelin, Nicole, erzählte sie von einem Mann mit einem Kind, der gehen soll. Ich erkannte intuitiv, wusste, dass es tatsächlich solche Gestalten im Zimmer gab. Wer waren sie? Was wollten sie? So fragte ich in meinem Inneren und bat Jesus um Hilfe. Mir wurden Bilder gezeigt von Schattenwesen und ich vernahm die Worte in mir «arme Seelen». Da fiel mir ein, dass meine Schwiegermutter jeden Abend für die armen Seelen gebetet hatte. Nun saßen sie in der Stube und warteten auf weitere Wohltaten durch den Menschen, der ihnen solche erwiesen hatte. Mir kam es vor wie eine Art Fütterung, in der sich Seelen an jene hängen, die bereit sind, ihnen Energie zu geben. Diese Situation stimmte mich nachdenklich und ich betete darum, besser verstehen zu können. Mir zeigten sich neue Zusammenhänge: Seelen hängen sich an Menschen. Doch Seelen sollten sich nicht an Menschen hängen, sie sollten sich in die Erkenntnis wünschen, in der sie weiterkommen, in der sie sich von den Weltenergien befreien können. Es zeigte mir eine neue, eine andere Seite: die Geisterwelt der gebundenen Seelen. Was, wenn also durch die gutgemeinten Gebete Seelen gebunden würden?

In der Sterbebegleitung meiner Schwiegermutter gab ich den Belagerern zu verstehen, dass es hier nichts mehr zu holen gäbe, sie sollten weiterziehen und ihren eigenen Weg suchen und sich nicht wie Schmarotzer an gutmütige Menschen hängen.

Arthurs Mutter begab sich auf den natürlichen Weg des Sterbens und Arthur, ihr Sohn, hat sie in diesem Prozess begleitet, hat ausgehalten und mitgetragen. Ich übernahm die tägliche Pflege der Mutter. Das hatte ich jetzt gelernt, nun wusste ich, wie man Körperpflege macht, wie man mit professionellen Griffen hilfreich zur Seite stehen kann. Beide waren wir überaus dankbar, dass wir die Ferien für diesen Dienst, für das Gebot «Ehre Vater und Mutter» nutzen konnten. Zusammen räumten wir die Wohnung, verteilten die Habseligkeiten an die Hinterbliebenen und gingen, nachdem die zwei Wochen vorbei waren, wieder zur Arbeit. Ohne Pause, ohne Erholung, doch in allergrößter Dankbarkeit Gott gegenüber, der mir, der Schwiegertochter, die Möglichkeit gab, ihr Versprechen einzulösen und Arthur, der in der Fürsorge als Sohn, der Mutter Stütze sein konnte.

VERBORGENES LEBEN

 

«Schreibe für dich den Weg, der bei dir zur direkten Kommunikation geführt hat auf, denn es hilft dir beim Helfen!»