In mir war ein heftiger innerer Kampf um die Wahrheit im Gang. Ich war sehr dankbar, dass ich wieder im Pflegeheim arbeiten durfte. Die äußere Arbeit war wie gewohnt intensiv, doch die Prozesse im Inneren waren noch intensiver, die neuen Möglichkeiten, die sich mir in der Betreuung eröffneten, erfüllten mich mit großer Freude. Die neue Wohngemeinschaft, das schöne Zimmer mit eigenem Bad, aber vor allem meine Mitbewohner in der WG taten mir gut.
In der Nachfolge des Jesus von Nazareth, für Gott, war ich damals, vor nun bereits neun Jahren, nach Deutschland aufgebrochen, hatte mehrere Stationen durchlaufen und immer wieder erlebt, dass ich mich nicht verstanden fühlte. Meine Art, mein Wesen waren in der Gemeinschaft zwar geduldet, aber nicht wirklich angenommen und aufgenommen. Misstrauen, Bespitzelung, Angst, das hatte ich in den Reihen der Gemeinschaft kennengelernt.
Ich war weitestgehend von den Aktivitäten der Gemeinschaft ausgeschlossen worden, nach dem Versagen in meinen betrieblichen Stationen waren nun die Anschuldigungen der Lüge und des Verrats hinzugekommen. All das Erlebte musste ich verarbeiten und es wirkte weiter in mir. Ich hatte meinen Boden angenommen, sagte mir, weiter nach unten geht es nicht mehr.
Ich konnte verstehen, weshalb ich mich als Versagerin fühlte und nun wieder im Pflegeheim arbeitete. Die Fähigkeiten, die ich bereits in der Schweiz entwickelt hatte und hier im christlichen Sinne, von Herzen und mit Liebe einbringen wollte, konnte ich nicht frei entfalten. Was hatte das alles noch mit Gott zu tun? War es nicht sein Werk?
Ich sah und hörte von jenen, die am Rand der Gemeinschaft standen, sah Gebrandmarkte und Gebrochene. Ich erfasste, dass es Opfer waren – Opfer einer Gesinnung, einer unbarmherzigen Führung, von Führungskräften, die mit Zuckerbrot und Peitsche agierten und so erfolgreich durchsetzen, was sie für richtig hielten. Wie konnte Gott das zulassen? Wie war es möglich?
In einem Traum sah ich, wie viele Glaubensgeschwister an mir vorbeiradelten, mich überholten und dann, vor mir, plötzlich die Richtung änderten. Diese Situation wiederholte sich dreimal. Ich selbst fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit, war auf diesem Weg allein und radelte auf meiner Spur. Dieser mein Weg führte über ein Hotel, in dem ich einige Zeit verweilen musste, weil Menschen mir den Weg versperrten und es kein Durchkommen gab. Als ich später meinen Weg fortsetzte, traf ich auf Schweizer Geschwister, die mir begeistert und berührt von einem besonders wichtigen Glaubenstreffen erzählten. Doch diese Worte erreichten mich nicht, das kannte ich schon. Ich begann wieder meiner Spur zu folgen. Mein Weg führte einen Berg hinauf. Mit letzter Kraft trat ich dabei in die Pedale – bis das Fahrradgestell auseinanderbrach.
Ich interpretierte den Zusammenbruch meines Gefährtes mit dem Zusammenbruch meines Körpers und ich wusste: Diesen Traum musste ich ernst nehmen. Daher sagte ich einer der verantwortlichen Geschäftsführerinnen, ich wolle und müsse meine Stunden zu einem normalen Pensum reduzieren und könne keine Überstunden mehr leisten.
Später erinnerte ich mich noch an einen anderen Teil des Traumes: Ich kam an meiner Arbeitsstelle an, ging zu meinem Spind, holte einen roten Umhang heraus und zog ihn an. «Seltsam, damit kann ich doch nicht arbeiten», dachte ich und stellte fest, dass ich immer noch zu früh war und zog daher den Umhang wieder aus. Danach erwachte ich.
In einem anderen Traum stand ich mit einer Gruppe der Glaubensgemeinschaft zusammen, die Prophetin mit ihren Begleitern hatte der Gruppe eine Frage gestellt, doch keiner gab Antwort. Alle blieben stumm. Einer der Begleiter der Prophetin, der in Frauenkleidern und übertrieben geschminkt war, wie eine Frau aus dem Milieu, forderte uns nochmals auf, wir sollten die Frage beantworten. Doch wiederum blieben alle stumm. «Warum sagst du nichts? Warum beziehst du keine Stellung?», sprach mich die Prophetin direkt an. Verwirrt über diese direkte Ansprache antwortete ich im Traum: «Ich habe keine Übersicht, ich verstehe vieles nicht. Ich kann dazu nichts sagen.»
Ich konnte diesen Traum damals nicht deuten. Doch für meine Situation fand ich darin eine Antwort, die mir weiterhalf: Ich sollte mir eine Übersicht erarbeiten, um besser verstehen zu können.