In und durch meine Betreuungsaufgabe mit den Senioren begann ich mich zu heilen, fand mein Fundament wieder. Doch es wartete bereits der nächste Keulenschlag: Ein Gerücht ging um.
Jemand hatte etwas aus dem Bundgemeinde-Treffen weitererzählt. Ich wurde öffentlich verdächtigt, während des Gemeindetreffens, in dem dies besprochen wurde, angerufen und zu dieser mir angedichteten Indiskretion ausgefragt. Ich musste nichts Unrechtes eingestehen und hatte mit den Personen, um die es ging, bereits seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr gehabt. Doch durch diese Anschuldigung wurde ich ohne mein Zutun und trotz meiner Unschuld von da an zur Persona non grata.
Alle Mitbewohner meiner Hausgemeinschaft wurden nun ebenfalls verdächtigt. Sie wurden befragt, mussten Rede und Antwort stehen und wurden ab diesem Zeitpunkt misstrauisch beobachtet. Dies war für mich besonders schlimm, beschämend und unerträglich. In der Folge der Ausgrenzung ergab sich ein nächster unausweichlicher Schritt: Eine Mitbewohnerin wollte unsere Wohngemeinschaft verlassen und in die Nähe des Hofes ziehen, auf dem sie arbeitete. Ich konnte mir schlecht vorstellen, in meiner Situation der Ausgrenzung neue Bewohnerinnen aufzunehmen, weil ich niemanden meinetwegen in eine unbequeme Lage bringen wollte. Tieftraurig und ohne zu wissen, wie es weitergehen könnte, entschied ich schweren Herzens, mein Zuhause mit dem geliebten Garten, das zu meinem Ankerplatz geworden war, aufzugeben und den Mietvertrag zu kündigen, ohne zu wissen, wer mich unter diesen Umständen aufnehmen würde und wo ich wohnen könnte.
Die Situation, in die ich geraten war, wollte und konnte ich nicht am Telefon mit meiner Familie besprechen, also beschloss ich, in die die Schweiz zu fahren. Wie ich Arthur und meinem Sohn dies alles erklären sollte, wusste ich nicht. Sie sollten sich nicht sorgen und auch nicht schlecht über die Gemeinschaft denken.
Als ich wegfahren wollte, merkte ich, dass ich meinen Ausweis in der Wohnung vergessen hatte und ging deshalb nochmals zurück. In diesem Moment klingelte in meinem Zimmer das Telefon. Ich zögerte einen kurzen Augenblick, ob ich den Anruf noch entgegennehmen sollte. – Als ich den Hörer abnahm, meldete sich eine Schweizer Glaubensschwester, die hier in Deutschland in einer Wohngemeinschaft lebte. Sie sagte, es sei noch ein Platz frei in ihrer WG und fragte, ob ich interessiert wäre, bei ihnen zu wohnen. Unglaublich, geradezu unwirklich hörte und fühlte sich das Angebot dieser Frauenstimme an. Das Haus, von dem sie sprach, gehörte der Schweizer Schwester und ihrem Mann.
Wenn jemand im Glaubensverbund geächtet war, galt es Abstand zu halten, damit man nicht selbst in Ungnade fiel. Kontakt wurde vermieden, man ging in solchen Fällen auf Distanz. Nicht so dieses Ehepaar. Obwohl ich die beiden gar nicht so gut kannte, stellten sie sich mit diesem Angebot auf meine Seite, warfen mir einen Rettungsring zu. Erfreut und erleichtert fühlte ich mich, angenommen und aufgenommen. Ich dankte Gott inniglich für dieses Erlebnis, Seine Hilfe, mit der er mir an diesem Tiefpunkt eine neue Möglichkeit gab.
Nach meiner Zusage für die neue WG entwickelten sich die Dinge in besonderer Weise: Erfreulicherweise interessierte sich nun meine Tochter für das Haus, in dem ich gelebt hatte. Sie war vor vier Jahren auch nach Deutschland gekommen, vertrieb Naturkosmetik in einem der Glaubensgemeinschaft nahestenden Betrieb und wollte nun zusammen mit jungen Frauen eine Wohngemeinschaft gründen. Ich ließ also meinen Ankerplatz los und überließ ihn meiner Tochter. Der neue Mietvertrag wurde im Frühling 2008 unkompliziert auf die junge WG übertragen, und so blieb das Haus, obwohl ich es losgelassen hatte.