Nachdem Maria den Suchtkrankenhelfer-Kurs absolviert hatte, wurde sie im darauffolgenden Kurs angefragt, sich als Kursleiterin für die kantonale Suchtkrankenhilfe einzubringen. Ihre Qualitäten waren vom Leiterteam erkannt worden und sie holten Maria ohne weitere Ausbildung oder äußere Legitimation in ihr vierköpfiges Leiterteam. Der Kurs richtete sich vor allem an Angehörige, Begleiter und Betreuer. Dort wurde mit den Kursteilnehmern das eigene Verhalten erarbeitet, in dem diese allzu oft zu Co-Alkoholikern werden, mit ihrem Verhalten die Sucht verstärken, ohne es zu wollen. Das Augenmerk richtete sich also auf eigene Verhaltensmuster, diese galt es kritisch zu hinterfragen und zu überdenken. Maria war darin geübt. In dieser neuen Aufgabe, auf diesem Gebiet sah sie in unterschiedliche Familien, die wegen Suchtverhältnissen in Nöte gerieten.
Maria:
Mit der Auseinandersetzung und dem inneren Abwägen: «Was ist wirklich Hilfe und was nicht?», lernte ich eine neue Sicht der Dinge. Ich erkannte, wie der freie Wille durch die Sucht Schritt für Schritt genommen, wie Vertrauen verspielt, Versprechen gegeben, jedoch nicht gehalten werden und keine mehr sind. In mir begann ich zu unterscheiden zwischen echter Hilfe, solche die in die Verantwortung führt und Mitleid und Verständnis, die weiter in die Sucht führen. Ich stellte fest, das Helferheer an Sozialarbeitern, die dem Süchtigen zur Verfügung steht, ist gewaltig. Es ist sich aber auch uneins. Die einen sind für Konsequenz und Selbstverantwortung, während die anderen Verständnis, Freiheit und Toleranz propagieren – zwei Meinungen, zwei Seiten, zwei Möglichkeiten, Kopf und Herz, zwei verschiedene Wege, die in der Suchtproblematik besonders gut sichtbar wurden. Klare Strukturen, geregelte Tage, eine gewisse Ordnung, das ist das Netz, welches jenen als Therapie gegeben wird, die in die Sucht abgerutscht sind. Was sie jedoch selbst aufbringen müssen, ist der freie Wille, die Entscheidung, ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu wollen. Suchtfrei zu werden ist ein Tagesziel, geht nur Schritt für Schritt und ist mit hunderttausend weiteren Entscheidungen ein mühsamer, langwieriger Weg.
Die Unberechenbarkeit, die mir dabei begegnete, machte mir zu jener Zeit noch Angst. Ich sah eine Art Besessenheit, die sich aufspielt, um sich schlägt und oft sehr laut wird. Entschieden musste ich dieser Macht entgegentreten: Nicht der Suchtkranke war mein Gegner, die Macht der Verführung stellte sich mir entgegen. So übte ich mich darin, im Kranken den Verführten zu sehen, verbot mir jegliche Wertungen. Dabei erlebte ich auch, dass es eine Kraft gab, die stärker war, die ankam im Inneren, es waren in mir Gefühle der Barmherzigkeit und des Wohlwollens. Es war für mich ein Üben, mich sowohl in der Klarheit zu zeigen und gleichzeitig im Wohlwollen zu bleiben. Dabei erlebte ich zu meinem eigenen Erstaunen, wie sich dieses auswirkte; wie Achtung und Respekt Wunder wirkten und Herzenstüren öffneten. Ich erlebte auch meine eigenen Ängste, in denen ich am liebsten ausgewichen wäre. Mir wurde jedoch in meinem Inneren klar, dass ich auch diesen Gegner, diese Angst, besiegen, ja, in mir besiegen musste.